Die humanistische Psychotherapie ist kein einheitliches Psychotherapieverfahren, sondern versteht sich als grundlegende Orientierung derjenigen psychotherapeutischen Ansätze, die unter Anerkennung der Prozesse organismischer Selbstregulation Klienten ein Beziehungsangebot machen, welches getragen ist von unbedingter Wertschätzung der Person, einfühlendem Verstehen der inneren Erlebenswelt des Klienten sowie einer kongruenten, authentischen Haltung des Therapeuten mit dem Ziel einer verbesserten Selbstwahrnehmung, vermehrter Authentizität, Entfaltung eigener Potentiale, größerer innerer Freiheit bzw. Wahlfreiheit

Grundlegende Positionen der Humanistischen Psychologie

  • Jeder Mensch strebt grundsätzlich danach, sein individuell angelegtes Potential entfalten zu können
  • Der Mensch ist ein „organismisches Wesen“, das ganzheitlich, also mit allen Sinnen unter Einbezug von Körper, Geist und Seele erfährt, wahrnimmt und verarbeitet
  • Er strebt – wenn er die richtigen Bedingungen dafür vorfindet – nach Selbstentfaltung, Weiterentwicklung und dies tut er selbstregulativ („autopoietisch“) also gemäß seinem individuellen inneren Prozess, er ist also nicht Eins zu Eins von außen beeinflussbar oder sogar manipulierbar
  • Dieser individuelle innere Prozess ist organismisch reguliert durch die Wahrnehmung sowie das Bemühen um Befriedigung von Bedürfnissen, die wenn sie hinreichend befriedigt sind, zurücktreten und Platz machen für ein neues Bedürfnis.
  • Darüber hinaus hat der Mensch auch Wachstumsbedürfnisse, er ist von Grund auf konstruktiv, auf Werte, Ideale hin orientiert
  • Beziehungsorientierung: Der Mensch ist von Grund auf ein soziales Wesen, er hat ein Grundbedürfnis nach positiver Beachtung, entsprechende Begegnung wirkt als „wechselseitiger Katalysator“ für Wachstum

Grundlegende Orientierungen Humanistischer Psychotherapieverfahren

Beziehungsorientierung: Die Gestaltung der therapeutischen Beziehung ist grundlegend für die Entfaltung der Potentiale von Klienten (s.o.). Erst wenn der Klient sich sicher und tief verstanden fühlt, können Selbsterhaltungstendenzen abgelöst werden durch eine vermehrte Selbstexploration, die einfühlsam begleitet wird.
Hier- und -Jetzt- Orientierung – Prozessorientierung: Die Begleitung der aktuellen inneren Erlebensprozesse ist entscheidend für das Persönlichkeitswachstum von Klienten, nicht erlebensferne kognitive Theorien zu Sachverhalten aus Vergangenheit oder Zukunft. Es gibt keine Selbstkonzeptänderung ohne emotionale Beteiligung!
Phänomenologische Orientierung – hermeneutisches Verstehen: Der Klient kann nur mit Phänomenen umgehen, die zumindest am Rande der Gewahrwerdung erfahrbar bzw. bewusst sind. Die achtsame Wahrnehmung und der Erkundungsprozess der tieferen persönlichen Bedeutung dieser Phänomene werden vom Psychotherapeuten empathisch mitvollzogen und begleitet.

Zu den humanistischen Psychotherapieverfahren zählen unter anderem die Gesprächspsychotherapie, die Gestalttherapie, das Psychodrama, verschiedene körperorientierte Verfahren, humanistisch-systemische Ansätze uvm.

Eine Metapher für die Arbeitsweise der Humanistischen Psychotherapie

„Eine Rose wächst nicht dadurch, dass man an ihr zieht“

so oder so ähnlich könnte ein Gärtner sagen, wenn er charakterisieren möchte, was seine Arbeit nicht ausmacht.
Stattdessen würde er vielleicht betonen, wie wichtig es ist, die Voraussetzungen für ein gesundes Wachstum der Rose zu sichern, also darauf zu achten, dass genügend Nährstoffe im Boden sind, Feuchtigkeit, Außentemperatur und Sonnenlicht angemessen sind, sie genügend Platz hat usw.
Es leuchtet unmittelbar ein, dass die Blume das Wachsen an sich selbst steuert gemäß ihrer ureigenen genetischen Ausstattung, die bereits im Samenkorn angelegt ist. Bei weniger guten Umweltbedingungen wächst die Rose gemäß ihrer Anlage so gut es eben geht, kommt vielleicht nicht voll zur Entfaltung, bleibt aber die Blume, die sie ist.
Dagegen wird eine Rose auch dann nicht zu einer Tulpe, wenn der Gärtner ihr die optimalen Rahmenbedingungen für Tulpenwachstum schafft. Wenn der Gärtner die Seitentriebe der Rose abschneidet, verhält sie sich selbstregulativ, indem sie die dadurch verlorengegangenen Wachstumspotentiale mit einem vermehrten Größenwachstum zu kompensieren versucht.
Ganz ähnlich ist das Bild vom Menschen in der humanistischen Psychologie, das der Ausbildung zugrunde liegt.